Ein Fall aus dem Leben

Ingrid Alsleben   21. September 2016   Kommentare deaktiviert für Ein Fall aus dem Leben

….zeigt ganz konkret, wofür welche Vorsorgedokumente sinnvoll sind

Bärbel, 54 und Christa, 52  haben sich zum Kaffee verabredet. Sie haben sich lange nicht gesehen und es gibt viel zu erzählen und zu lachen. Über eine gemeinsame Erinnerung lachen sie so sehr, dass Christa sich an ihrem Stück Kuchen verschluckt und nach Luft ringt. Kein Klopfen auf den Rücken hilft, sie läuft rot an und es wird klar – Christa droht zu ersticken. Der Notarzt wird gerufen, kommt recht schnell, Christa wird ins Krankenhaus gebracht und künstlich beatmet. Sie überlebt. Aber der Zeitraum ohne Sauerstoff war zu lang – sie hat einen schweren Hirnschaden erlitten  und muss von nun an dauerhaft beatmet werden.

Ein Fall aus dem Leben, kürzlich passiert.

Der eine von uns sieht dies als „Schicksal“ an, in das es sich zu fügen gilt, der andere begehrt auf und will kein „Leben an Schläuchen“ und was will Christa?

War die Wiederbelebung und Beatmung als lebensrettende Notmaßnahme zweifellos von Christas (mutmaßlichem) Willen gedeckt, so fragt es sich, ob auch die weitere Beatmung von ihr gewollt ist. Der Arzt kann sie nicht fragen, denn sie ist nicht mehr entscheidungsfähig. Und trotzdem braucht der Arzt einen „Ansprechpartner“, denn  es muss entschieden werden, ob es  dem Willen von Christa entspricht, die künstliche Beatmung weiter fortzusetzen.

Christas Mann ist erstaunt, als der Arzt ihn fragt, ob er eine Vollmacht vorweisen kann – er glaubt, als Ehepartner für seine Frau handeln und entscheiden zu können. Denken auch Sie so? Dann geht es Ihnen so wie sehr vielen Menschen.  Und trotzdem ist diese Annahme nicht zutreffend. Ab dem 18. Lebensjahr hat niemand mehr „automatisch“  Vertretungsmacht für uns – weder Ehepartner füreinander noch Eltern für ihre volljährigen Kinder.

Zum Vertreter und damit zum Ansprechpartner für einen Arzt wird man nur auf zwei Wegen: entweder durch eine (Vorsorge-)Vollmacht oder wenn eine solche Vollmacht nicht erteilt wurde durch die Bestellung zum Betreuer durch das Betreuungsgericht.

Die Vorsorgevollmacht muss zwar längst nicht immer notariell beurkundet werden, aber zu schreiben „A soll mich in allen Angelegenheiten vertreten“, das reicht nun auch wiederum nicht; für Vertretungsmacht in schwerwiegenden medizinischen Fragen macht uns das Gesetz ein paar Vorgaben, die wir beachten müssen.

In unserem Fall hat Christas Mann  leider keine Vollmacht und so muss das Betreuungsgericht eingeschaltet werden – denn wie schon gesagt: der Arzt braucht immer einen Ansprechpartner und den sucht man sich entweder rechtzeitig selber oder das Gericht sucht ihn für uns.

Der Betreuungsrichter guckt zunächst, ob es in der Familie jemanden gibt, der als Betreuer in Frage kommt und so wird dann Christas Mann  zum Betreuer seiner Frau bestellt – ein Verfahren, das Zeit und Geld kostet und das die beiden sich hätten ersparen können, wenn sie beizeiten Vorsorgevollmachten ausgestellt hätten.

Wäre Christa alleinstehend müsste der Betreuungsrichter vermutlich auf einen Berufsbetreuer zurückgreifen und damit würde ein zwar kompetenter, aber Christa völlig Fremder lebenswichtige Entscheidungen für Christa treffen. Auch hier hätte Christa vorsorgen können: wer niemanden hat, dem er eine Vollmacht ausstellen will kann mit einer schriftlichen Betreuungsverfügung Einfluss auf die Auswahl des gerichtlichen Betreuers nehmen; er kann z.B. festlegen, dass der Betreuer aus dem örtlichen Kirchenvorstand kommen soll.

Als Betreuer wird nun Christas Mann  gefragt, was denn Christas Wille sei: ob sie wolle, dass die künstliche Beatmung fortgesetzt wird oder ob sie es möglicherweise ablehne „als Schwerstpflegefall ihr Leben an Schläuchen zu führen“. Christas Mann zuckt  die Achseln, denn sie haben sich nie über solche schwierigen Themen wie Pflegebedürftigkeit und Tod unterhalten – zu weit weg schien all dies…. und es hat auch Angst gemacht, sich damit zu befassen!

Auch hier hätte es Möglichkeiten gegeben: Christa hätte in einer Patientenverfügung festlegen können, was sie will und vor allem, was sie nicht will, wenn sie einmal nicht mehr selbst entscheiden kann.

Dabei hätte sich Christa vielleicht an ihre Mutter erinnert, die im Alter von 63 Jahren an Krebs gestorben ist, nach vielen Chemos, Bestrahlungen, qualvollen Behandlungen, auf der Intensivstation zwischen zahllosen Apparaten und an vielen Schläuchen.

Oder sie hätte  an das Sterben ihrer besten Freundin im Hospiz gedacht – diese Freundin hatte schriftlich verfügt,  ab wann „den Dingen ihren Lauf lassen solle“ und sie keine heilenden, sondern nur noch lindernde Behandlung  haben wollte. Christa hätte überlegt, ob sie zu den Menschen gehört, die alle medizinischen Möglichkeiten für sich ausgeschöpft sehen wollen oder ob sie sagt „mir geht Lebensqualität vor“ und ich lege fest, was ich darunter verstehe.

Christa hatte sich sehr wohl vor einiger Zeit schon einmal ein Formular einer Patientenverfügung besorgt – hatte sie angesehen und nichts, aber auch gar nichts verstanden und das Papier ganz schnell wieder zur Seit gelegt. Verständlich – denn so eine Patientenverfügung  ist medizinisch und juristisch nicht ganz einfach und  es reicht nun einmal nicht, zu schreiben „ich will nicht mein Lebensende an Schläuchen fristen“ – auch hier hat das Gesetz zu unserer aller Sicherheit ein paar Regeln aufgestellt, wie so eine Patientenverfügung aussehen muss. Es geht schließlich um unser Leben…..

Aber wie wäre es denn, wenn Christa in einer Patientenverfügung für den Fall eines schweren unwiederbringlichen Gehirnschadens eine lebenserhaltende künstliche Beatmung ausgeschlossen hätte – wäre das überhaupt zulässig? Oder dürfte dann die Beatmung überhaupt nicht abgeschaltet werden? Wäre das eine verbotene Tötung? Klare Antwort: wenn in einer Patientenverfügung verlangt wird, dass das Sterben zugelassen wird und dafür Apparate abgeschaltet werden müssen, dann ist das rechtlich zulässig. So hat es der Bundesgerichtshof 2010 ausdrücklich entschieden.

Das zeigt, wie wichtig es ist, sich beraten zu lassen und Vorsorge zu treffen – unser Team von ehrenamtlichen Beraterinnen steht Ihnen gern zur Verfügung und unterstützt Sie dabei, die für Sie richtige Vorsorge-Lösung zu finden.